Die unwahren Behauptungen der Vollgeld-Gegner

von Thomas Mayer, Kampagnenleiter Vollgeld-Initiative unter Mithilfe von Philippe Mastronardi, Prof. für Staatsrecht

Nationalbank behält mit Vollgeld volle Flexibilität in ihrer Geldpolitik


von Thomas Mayer, Kampagnenleiter Vollgeld-Initiative unter Mithilfe von Philippe Mastronardi, Prof. für Staatsrecht

Es gehört zu den üblen und leider verbreiteten Techniken des Abstimmungskampfes, die Bürger zu verwirren und zu täuschen. Wenn Argumente fehlen, wird einfach etwas Falsches behauptet in der Hoffnung, dass sich das Falsche schon durchsetze, wenn es nur oft genug wiederholt wird. Genau dies geschieht bei der Vollgeld-Initiative.

Im Folgenden die zentralen unbegründeten Behauptungen der Vollgeld-Gegner. Anschliessend erläutern wir ausführlich, warum der Initiativtext die Geldpolitik der SNB nicht einengt.

Behauptung: “Hochrisikoexperiment”

Fakt: Seit über hundert Jahren erzeugt die Nationalbank Schweizer Franken. Münzen und Banknoten sind Vollgeld. Die Banken untereinander benützen selbst bereits elektronisches Vollgeld der Nationalbank. Dieses soll mit der Vollgeld-Initiative nun für alle Bürgerinnen und Bürger zugänglich werden. Sämtliche Komponenten von Vollgeld gab oder gibt es bereits.
Befürchtung der Vollgeld-Gegner: “Experiment mit höchst ungewissem Ausgang”: Elektronischer Schweizer Franken für alle Bürgerinnen und Bürger ist gefährlich.
Sicht des Initiativ-Komitees: Warum soll etwas Bewährtes ein Experiment sein? Warum soll ein sicherer, elektronischer Franken für BürgerInnen und Bürger gefährlich sein?

Behauptung: “Unabhängigkeit der Nationalbank gefährdet”

Fakt: Die Vollgeld-Initiative stärkt die Unabhängigkeit der Nationalbank entsprechend dem Bundesgericht. (Art. 99a, Abs. 6 “Die Schweizerische Nationalbank ist in der Erfüllung ihrer Aufgaben nur dem Gesetz verpflichtet.”)
Befürchtung der Vollgeld-Gegner: Das Parlament und der Bundesrat missachtet den Verfassungsauftrag, schränkt die Unabhängigkeit der SNB ein und zwingt diese durch eine dahingehende Umformulierung des Nationalbankengesetzes zur übermässigen Auszahlung von neuem Geld.
Sicht des Initiativ-Komitees: Das Nein-Komitee, das die Mehrheit des Parlaments repräsentiert, droht hier öffentlich, die Verfassung zu missachten und das Nationalbankgesetz zu verwässern.

Behauptung: “Kreditengpässe und teurere Hypotheken”

Fakt: Die Vollgeld-Initiative gibt der Nationalbank den Auftrag, das “Funktionieren des Zahlungsverkehrs sowie die Versorgung der Wirtschaft mit Krediten durch die Finanzdienstleister” zu gewährleisten (Art. 99a, Abs. 1). Und: “Insbesondere in der Übergangsphase sorgt die Schweizerische Nationalbank dafür, dass weder Geldknappheit noch Geldschwemme entsteht.” (Art. 197 Ziff. 12, Abs. 2)
Befürchtung der Vollgeld-Gegner: Die Nationalbank wird mit Vollgeld den Leitzins so erhöhen und die Herausgabe von neuem Geld so einschränken, dass die Kreditversorgung der Wirtschaft stark beeinträchtigt wird.
Sicht des Initiativ-Komitees: Warum soll die Nationalbank ihren Verfassungsauftrag missachten und gegen das Gesamtinteresse des Landes handeln?

Behauptung: “Unflexible Geldpolitik”

Fakt: Mit der Vollgeld-Initiative behält die Nationalbank alle ihre bisherigen geldpolitischen Instrumente, insbesondere Devisenkäufe und Darlehen an Banken. Zusätzlich bekommt sie die Möglichkeit der schuldenfreien Ausschüttung von neuem Geld an Bund, Kantone oder direkt an die Bürgerinnen und Bürger. Im Initiativtext steht nicht, in welchem Umfange sie das tun soll. Da dieses Instrument neu ist, wird es von der Nationalbank zu Beginn wohl nur sehr vorsichtig eingesetzt werden.
Befürchtung der Vollgeld-Gegner: Die Nationalbank bringt neues Geld nur durch schuldenfreie Auszahlung in Umlauf. Dadurch kann die Geldmenge nur mit einer Extra-Steuer wieder reduziert werden.
Sicht des Initiativ-Komitees: Warum soll die Nationalbank aufhören, eine verantwortungsvolle Geldpolitik zu betreiben? Eine Geldmengenreduktion ist auch in einem Vollgeldsystem jederzeit möglich durch die bisherigen Instrumente (insbesondere Devisenverkäufe, Reduzierung der Darlehen an Banken).

Die Vollgeld-Gegner sehen beim letzten Punkt die Fakten allerdings anders. Sie behaupten, die Vollgeld-Initiative würde vorsehen, dass die Schweizerische Nationalbank (SNB) neues Geld ausschliesslich durch schuldfreie Auszahlung an Bund, Kantone oder Bürgerinnen und Bürger in Umlauf bringen dürfe. Damit könnte die SNB keine Devisen und sonstige Aktiven mehr kaufen und wäre in ihrer Geldpolitik eingeschränkt. Das wird vom Bundesrat, der SNB und deren Präsident, Thomas Jordan, sowie vom Nein-Komitee, das von Economiesuisse und der Bankiervereinigung organisiert wird, verbreitet. Auch Prof. Urs Birchler, der vorgibt „neutral“ über die Vollgeld-Initiative zu informieren, verbreitet diese Falschaussage.
Eine juristische Begründung, warum das so sein soll, wurde von diesen Akteuren niemals vorgelegt. Das geht auch nicht, da es im Initiativtext nicht darinnen steht, was im Folgenden gezeigt wird. Es ist eine Erfindung, die wohl als nötig erachtet wird, um eine Gegenargumentation gegen die Vollgeld-Initiative aufzubauen und die Stimmbürger durch Falschinformation zu einem Nein an der Urne zu bewegen.
Nach dem Erfolg der Initiative werden diese Akteure sicherlich nicht mehr davon sprechen. Bei der dann anstehenden Überarbeitung des Nationalbankgesetzes werden weder Bundesrat, SNB oder Nationalräte verlangen, dass zum Beispiel der Kauf von Auslandsdevisen aus dem Gesetz gestrichen werden solle. Das wird von der Vollgeld-Initiative nicht verlangt und wäre auch ziemlich unsinnig. Diese Akteure werden dann auf die Erläuterungen des Initiativkomitees zurückgreifen, die sie seit Jahren kennen, aber geflissentlich ignorieren, da es nicht in den Abstimmungskampf passt.

 

Was steht im Initiativtext zu den verschiedenen Wegen der Geldschöpfung?

Hier der für diese Frage relevante Artikel des Initiativtextes: 

Art. 99a Schweizerische Nationalbank
1 Die Schweizerische Nationalbank führt als unabhängige Zentralbank eine Geld- und Währungspolitik, die dem Gesamtinteresse des Landes dient; sie steuert die Geldmenge und gewährleistet das Funktionieren des Zahlungsverkehrs sowie die Versorgung der Wirtschaft mit Krediten durch die Finanzdienstleister.
2 Sie kann Mindesthaltefristen für Finanzanlagen setzen.
3 Sie bringt im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrages neu geschaffenes Geld schuldfrei in Umlauf, und zwar über den Bund oder über die Kantone oder, indem sie es direkt den Bürgerinnen und Bürgern zuteilt. Sie kann den Banken befristete Darlehen gewähren.
4 Sie bildet aus ihren Erträgen ausreichende Währungsreserven; ein Teil dieser Reserven wird in Gold gehalten.
5 Der Reingewinn der Schweizerischen Nationalbank geht zu mindestens zwei Dritteln an die Kantone.
6 Die Schweizerische Nationalbank ist in der Erfüllung ihrer Aufgaben nur dem Gesetz verpflichtet.

Absatz 1 von Artikel 99a gibt der SNB die umfassende Kompetenz, die Geldmenge zu steuern. Die Mittel dafür sind nicht genannt und damit auch nicht limitiert.
Absatz 3 Satz 1 ist nur eine teilweise Ausgestaltung dazu. Er beschreibt nur das In-Umlauf-Bringen von neuem Geld ins Publikum. Dabei heisst es nicht „…alles neu geschaffene Geld“, sondern es heisst nur unbestimmt „neu geschaffenes Geld“. Es steht also nicht im Initiativtext, dass dies die ausschliessliche Möglichkeit sein soll. Das fehlende „alles“ kann vom Gesetzgeber wie ein „insbesondere“ interpretiert werden.
Es wird auch nichts dazu gesagt, wieviel Geld die SNB schuldfrei in Umlauf zu bringen hat, das heisst, sie kann dies selbst bestimmen.
In Absatz 3 Satz 2 werden Darlehen an Banken normiert, was zur Umsetzung des Auftrages in Absatz 1 (Gewährleistung der „Versorgung der Wirtschaft mit Krediten durch die Finanzdienstleister“) notwendig ist und deshalb vom Gesetzgeber nicht eingeschränkt werden darf, was hiermit sichergestellt wird. Da diese Darlehen unter Vollgeld ja auch eine Herausgabe von Geld ist, sagt bereits Absatz 3, dass die Ausgaben an Bund, Kantone und Bürger nicht die einzige Form der Geldschöpfung ist.
Thema des Absatzes 3 ist also nicht die Gesamtheit der Geldschöpfung, sondern es geht nur um zwei Formen davon: ins Publikum bringen und Darlehen an die Banken. Geld, das für die Erfüllung der Aufgaben nach Absatz 1 erforderlich ist, kann darüber hinaus auch für die Offenmarktpolitik und Devisenkäufe verwendet werden.
Hinzu kommt noch der Vorbehalt „im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrages“. Der Gesetzgeber bleibt somit frei, diesen Rahmen so auszugestalten, wie er es für die Erfüllung des Auftrags nach Absatz 1 für richtig findet – und damit alle Arten des In-Umlauf-Bringens von Neugeld normieren.

Hätten Devisenmarktinterventionen in Art. 99a Abs. 3 des Initiativtextes geregelt werden müssen, um sie zu ermöglichen?

Nein, Devisenkäufe und die vielfältigen anderen Geschäfte der SNB waren noch nie in der Verfassung geregelt, sondern stehen im Nationalbankgesetz. Die Verfassung regelt nur die Grundsätze, für Details gibt es Gesetze, das ändert sich durch die Vollgeld-Initiative nicht. Das Nationalbankgesetz ermöglicht der SNB folgende Möglichkeiten, neu geschaffenes Geld in Umlauf zu bringen: Kauf von Forderungen, Effekten sowie Edelmetallen in Schweizerfranken oder Fremdwährungen und Vergabe von Darlehen. Die Nationalbank kann solche Geschäfte mit Banken, anderen Finanzmarktteilnehmern und ausländischen Zentralbanken durchführen. (NBG Art. 9 Abs. 1 und 2)
Art. 99a des Initiativtextes enthält eine Gesamtheit von Vorschriften über die SNB. Der Artikel beginnt mit einer generellen Umschreibung der Aufgaben der SNB, in welcher dieser eine umfassende Kompetenz zur unabhängigen Führung einer Geld- und Währungspolitik im Gesamtinteresse des Landes übertragen wird. Darin werden die Mittel dieser Politik in keiner Weise beschränkt.
Dies entspricht der heutigen Situation, die Mittel der Geldpolitik sind heute schon Sache der Gesetzgebung, nicht der Verfassung. Auf die Verfassungsebene angehoben werden in der Vollgeld-Initiative aus diesem Grund nur jene Neuerungen, welche sonst vom Gesetzgeber vernachlässigt werden könnten. Dazu zählt Absatz 3, der die neue Form des Einbringens von Geld ins allgemeine Publikum schafft. Es gibt keinen Anlass, die Devisenkäufe der SNB auf die Verfassungsebene zu heben, wohl aber einen zwingenden Grund, dies für die neue schuldfreie Ausgabe von Geld an Bund, Kantone und Bürger zu tun.

Das Thema der Flexibilität in der Geldschöpfung hat das Initiativkomitee schon im Nov. 2016 in seiner 28-seitigen Stellungnahme zur Ablehnung durch den Bundesrat erörtert. (siehe www.vollgeld-initiative.ch/kritik/) Diese Stellungnahme ist allen Akteuren bekannt. In ihr finden Sie noch ergänzende juristische Argumente:

„Interpretation des Verfassungstextes:

Die Nationalbank hat auf Basis der Vollgeld-Initiative drei Möglichkeiten neue Franken in Umlauf zu bringen: durch schuldfreie Auszahlung, Darlehen an Banken oder durch Kauf von Auslandsdevisen und anderen Aktiven. Wie sie diese drei Varianten mischt ist der Einschätzung der SNB überlassen.
Es ergibt sich aus dem Initiativtext der Vollgeld- Initiative, dass die SNB in der Wahl dieser drei Varianten frei ist:
1. Art. 99a abs. 3 BV lautet: “Sie (die SNB) bringt im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrages neu geschaffenes Geld schuldfrei in Umlauf, und zwar über den Bund oder über die Kantone oder, indem sie es direkt den Bürgerinnen und Bürgern zuteilt. Sie kann den Banken befristete Darlehen gewähren.” Der Verweis „im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrages“ bedeutet, dass der Gesetzgeber befugt ist, die massgebliche Interpretation dieses Verfassungsartikels vorzunehmen. Er hat dabei einen politischen Spielraum. Zu fragen ist, wo die Grenzen der Gesetzgebungsfreiheit liegen.
2. Das Gesetz muss das schuldfreie In-Umlauf-Setzen mindestens in einer der drei Varianten zwingend vorsehen. Es darf der SNB nicht vorschreiben oder gestatten, sämtliches Geld über Darlehen an die Banken in Umlauf zu bringen. Ein Minimum an schuldfreiem Geld ist jedoch nicht vorgeschrieben.
3. Für die Gewichtung von schuldfreiem Geld, Darlehen an die Banken und Kauf von Auslandsdevisen und anderen Aktiven gibt es also keine klaren Grenzen, wohl aber eine Richtlinie, von der nur aus guten Gründen abgewichen werden sollte: Während das schuldfreie Geld zwingend vorgesehen ist, gibt es für die Darlehen nur eine Kann-Vorschrift (ebenso für den erleichterten Zugang der Banken zu solchen Darlehen während der Übergangsphase, siehe Art. 97 Ziff. 12 Abs. 2). Der Gesetzgeber ist also dazu aufgerufen, das schuldfreie Geld als Normalfall vorzusehen, die Darlehen hingegen nur so weit zuzulassen, als dies zur Erfüllung des gesetzlichen Auftrags der SNB erforderlich ist.
4. Dies führt zur Frage, was „der gesetzliche Auftrag“ von Verfassungswegen im Hinblick auf die Darlehen der SNB an die Banken aussagen muss. Das ist in Art. 99a Abs. 3 BV beschrieben: “Die schweizerische Nationalbank führt als unabhängige Zentralbank eine Geld- und Währungspolitik, die dem Gesamtinteresse des Landes dient; sie steuert die Geldmenge und gewährleistet das Funktionieren des Zahlungsverkehrs sowie die Versorgung der Wirtschaft mit Krediten durch die Finanzdienstleister.” Daraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber der SNB die Gewährung von Darlehen an Finanzdienstleister nicht begrenzen darf, so dass diese die “Versorgung der Wirtschaft mit Krediten” auch im Krisenfall gewährleisten kann. Das heisst, auch wenn das schuldfreie Geld grundsätzlich zwingend vorgesehen ist, darf dies nicht zu einer Einschränkung der Darlehen an Banken (oder Kauf von Auslandsdevisen und anderen Aktiven) führen.
5. Hinzu kommt, dass die SNB nach Art. 99a Abs. 1 BV die verfassungsmässige Unabhängigkeit besitzt sowie die Kompetenz, eine Geld- und Währungspolitik zu führen, die dem Gesamtinteresse des Landes dient. Die gesetzliche Regelung darf diese Unabhängigkeit und Kompetenz nicht verunmöglichen.
6. Ergebnis: Der Initiativtext begünstigt so viel schuldfreie Zuteilung, wie die langfristige Wirtschaftsentwicklung gestattet, und so viel Darlehensgewährung, wie die Feinsteuerung der Geldpolitik und Sicherung der Kreditversorgung benötigt. Der Initiativtext gewährt aber weder dem einen Weg noch dem anderen einen generellen Vorrang. Entsprechend hat auch der Gesetzgeber der SNB einen Spielraum zu gewähren, innerhalb dessen sie ihre eigene Gewichtung von Stabilität und Dynamik selbst vornehmen kann.“